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08.06.2022 | Innovation | Lesezeit: 5 min

Schweizer «renovieren» das Internet und haben Vorsprung bei Daten-Ethik

Suzanne Thoma (CEO BKW, Verwaltungsratspräsidentin Sulzer), Marc Schürmann (Executive Vice President Komax Wire Processing), Peter Delfosse (CEO Axon Group) und Eric G. Sarasin (Verwaltungsratspräsident The Singularity Group, Innovationsinvestor) diskutieren die Schweizer Innovationslandschaft im Terrassensaal des KKL Luzern.

Luzern, 8. Juni 2022 - Die Schweizer Investmentboutique The Singularity Group (TSG) und die Wirtschaftsförderung Luzern haben vergangenen Dienstag, 31.05.2022, Vertreter aus Industrie und Wirtschaft zur Vorstellung der Globalen TSG-Innovationsstudie mit anschliessender Podiumsdiskussion eingeladen. Die Veranstaltung fand im Terrassensaal des KKL Luzern statt. Im Mittelpunkt stand die Frage «Wie innovativ ist die Schweiz?» Als Hinführung zum Thema hat TSG-CEO und -Mitgründerin Evelyne Pflugi Einblicke in die Ergebnisse der unlängst veröffentlichten Innovationsstudie gewährt, an der rund 400 Führungskräfte weltweit teilgenommen haben. Thematischen Kontext erhielt die Studie durch Kommentare des Singularity Think Tanks, einem globalen Expertenzusammenschluss, der TSG bei der Identifizierung von angewandter Innovation innerhalb von Wertschöpfungsketten berät.

Bei der Präsentation der Studie zeigte Evelyne Pflugi unter anderem auf, dass Technologien wie Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge oder Big Data Unternehmen dabei helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. «Es gibt einen unterschätzten Bereich, in dem ein Quantensprung stattgefunden hat: Recycling», führte Pflugi aus. «Erst jetzt ist dank Computer Vision eine detaillierte und sinnvolle Trennung von Abfall möglich.» Dies eröffne ganz neue Möglichkeiten der Wiederverwertung. Auch im Bereich der nachhaltigen Landwirtschaft sind Technologien wie Internet der Dinge oder Robotik dafür verantwortlich, dass es in wenigen Jahren mit zellbasierten Lebensmitteln eine echte Alternative zum tierischen Vorbild geben wird. «In 10 Jahren ist es denkbar, dass Fleisch aus Bioreaktoren in heimische Küchen und Restaurants kommt», kommentierte Pflugi die Einsichten aus dem Beirat. Zum Thema ‘Novel Foods’ arbeitet TSG vor allem mit Unternehmer-Experten aus Asien, wo Lebensmittelsicherheit ein großes Thema ist. 

Innovationsaufschwung durch Wissenstransfer

Im globalen Vergleich fällt auf, dass Europäische Unternehmen in Zukunft 12% mehr Fokus auf Big Data und Künstliche Intelligenz legen werden als US-amerikanische. «Der Grund hierfür ist einfach: Aufholbedarf», konstatierte Pflugi. Wenn es um Innovationskooperationen geht, setzen gelistete Unternehmen eher auf offene Innovation, während nicht börsennotierte Unternehmen die Zusammenarbeit mit Startups, Kunden oder anderen Firmen anstreben. «Was wir sehen ist, dass Innovation dann am wahrscheinlichsten stattfindet, wenn sie in das Unternehmen und die Strukturen integriert wird», so Pflugi. «Nimmt man das Beispiel Innovation Hub: Diese funktionieren nur, wenn ein permanenter Wissenstransfer stattfindet und Mitarbeiter dieses beständig vom Hub ins Unternehmen tragen.» Es sei gerade der Austausch, der Innovation beflügle. «Jetzt, da die Menschen wieder live miteinander reden können, könnte es zu einem erneuten Innovationsaufschwung kommen», ergänzte Pflugi.

TSG hat sich darauf spezialisiert, angewandte Innovation innerhalb börsennotierter Unternehmen zu identifizieren - und zwar unabhängig von Branchen, Sektoren oder Ländern. Im Gegensatz zu typischen Technologieaktien -indizes und -fonds, werden nur Unternehmen ausgewählt, die in der Lage sind, Cashflow in Verbindung mit angewandter Innovation zu generieren. Die wichtigste Kennzahl bei der Zusammenstellung des Indexes ist der Singularity Score, der den prozentualen Anteil des Umsatzes darstellt, der mit Produkten und Dienstleistungen in Innovationswertschöpfungsketten generiert wird. Für die Veranstaltung hat TSG seine Anlagemethodik auf ein Schweiz-Portfolio angewandt und präsentiert. «Betrachtet man die Schweiz durch eine Innovationslinse, so entsteht ein Bild, das überraschen mag: Es fehlen die üblichen Verdächtigen wie Nestlé, Roche und Novartis», zeigte Pflugi auf. «Dafür sind Titel wie Straumann oder Givaudan vertreten, ein aussichtsreicher Mix aus Unternehmen mit vorwiegend kleiner oder mittlerer Marktkapitalisierung, der sich hervorragend gegen den Schweizer Index SPI sowie relevante Wettbewerber behaupten kann.»

Bankenbranche hinkt beim Thema Daten 15 Jahre hinterher

Mit diesem Einblick leitete Pflugi zur hochkarätigen Podiumsdiskussion über und stellte die Eingangsfrage: «Wie schneidet die Schweiz beim Thema Innovation im internationalen Vergleich ab?» Peter Delfosse, CEO der Axon Group, eröffnete die Runde mit einem Blick in Richtung Asien. Dort existiere dank laxerer Regularien eine wesentlich höhere Datenverfügbarkeit. Die intelligente Nutzung von Daten führe zu einem Vorsprung auf vielen Gebieten. «In Europa spürt man noch keine richtige Lust an der Datennutzung. Banken nutzen beispielsweise nur 30% der verfügbaren Daten - das ist der gleiche Wert wie vor 15 Jahren», so Delfosse. «Die Vernetzung zwischen Unternehmen und Kunde hat hier quasi nicht stattgefunden.» Eric G. Sarasin, TSG-Verwaltungsratspräsident stimmte zu, dass die Bankenbranche generell beim Thema Innovation hinterherhinke. «Allerdings gibt es Ausnahmen wie die SEBA Bank und mit Unternehmen wie Sygnum auch ein paar ‘Teslas’ - und zwar im Cryptobereich.» Zudem erfahre die Schweiz mit führenden Universitäten wie der ETH im Ausland grosse Anerkennung und habe eine solide Basis. «Wir haben einen guten Mikrokosmos geschaffen, der sehr innovativ ist - leider wandern die Besten früher oder später zum IPO in die USA ab.» Gerade junge Unternehmen würden seitens der Regierung und Öffentlichkeit nicht genug unterstützt. 

«Nicht nur Technologien, sondern auch kulturelles und juristisches Wissen liefern»

Bei der Frage, wie weit die Schweiz beim Thema Nachhaltigkeit ist, zeigte sich Suzanne Thoma, CEO BKW und Verwaltungsratspräsidentin Sulzer, sehr optimistisch gegenüber Innovation als Treiber: «Technologien wie Kohlenstoffbindung am Ort des Ausstosses konkretisieren sich verstärkt. Hinzu kommen Fortschritte beim Recycling: dass sich bei Verpackungen etwa Fasern auftrennen und neu binden lassen.» Viel Potential liege auch bei der Optimierung von Gebäude-Infrastrukturen und smarter Energienutzung. Marc Schürmann, Executive Vice President Komax Wire Processing, ergänzte: «Nachhaltigkeit ist definitiv bei den Automobilzulieferern und damit in den Wertschöpfungsketten angekommen. Nehmen wir das Beispiel Automatisierung: Hier waren früher Effizienz- und ‘Return on Investment’-Überlegungen ausschlaggebend, zunehmend spielen Nachhaltigkeitsfaktoren eine Rolle, was beispielsweise den Standort von Produktionsstätten betrifft.» 

Peter Delfosse sieht ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal von europäischen Ländern und der Schweiz zudem in der Daten-Ethik: «Wir liefern nicht nur die Technologien, sondern auch kulturelles und juristisches Wissen, wie man mit den Daten umgehen muss. Wir können dabei helfen, Daten so zu organisieren, dass Vertrauen geschaffen wird - denn in Europa ist Datennutzung zunehmend auf das Individuum ausgerichtet.» Als Beispiel nannte er ein Grossprojekt, das Axon bei den New Yorker Verkehrsbetrieben an Land gezogen hat. «Hier konnten wir durch unseren Vorsprung im verantwortungsvollen Umgang mit Daten punkten.» Dies würde wiederum auf Nachhaltigkeit einzahlen - eine Grundlage sei nämlich deren Messung. Mobilität zu organisieren bedeute letztlich, Mobilitätsdaten zu generieren und diese zur Optimierung zu nutzen. Eric Sarasin sieht ausserdem den «Faktor Mensch» als Nachhaltigkeitstreiber: «Der Verbraucher fordert dies immer mehr und wird zunehmend kritischer - was wiederum die Industrie zu innovativen Lösungen drängt.»

Schweizer renovieren das Internet

Bei der angeregten Diskussion ging es auch um Fallstricke und Hindernisse, welche Innovationen in Unternehmen ausbremsen können. Suzanne Thoma erzählte von ihren Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Startups: «Vor acht Jahren haben wir uns enthusiastisch in Kooperationen gestürzt. Was wir erst später gemerkt haben: Startups wollen Probleme lösen, oft werden wir Grossen aber zum Problem für Startups.» Unterschiedliche Kulturen, Ziele und Erwartungen hätten damals fruchtbaren Kooperationen im Weg gestanden. «Heute gehen wir das anders an: Mit offenem Austausch und Transparenz.» Ein weiterer wichtiger Faktor sei Geduld, wusste Peter Delfosse: «Innovation ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf. Der Horizont ist zehn Jahre plus - so lange muss man durchhalten.» Immer wieder seien auch hier Daten ausschlaggebend. «Was wir vor 15 Jahren mit Big Data aufgebaut haben, hilft uns heute beim Thema digitale Transformation. Unternehmen sollten ins Daten-Sourcing investieren, um sinnvoll innovieren zu können.» Letztlich hätten Technologien allein in den meisten Fällen keinen Wert - der Wert entstünde erst durch (richtige) Daten.

Abschliessend warf Moderatorin Evelyne Pflugi die Frage in die Runde, auf welche Technologie die Podiumsteilnehmer setzen würden, wenn sie sich auf eine festlegen müssten. Eric Sarasin musste nicht lange überlegen: «Blockchain hat eine riesengrosse Zukunft.» Für Marc Schürmann kommt Robotik und Internet der Dinge grosse Bedeutung zu, während Suzanne Thoma «ressourcenarme Stromproduktion» einwarf. Peter Delfosse schloss die Runde mit einem Denkanstoss: «Ich setze auf eine Technologie, die uns allen am Herzen liegen muss und die wir inzwischen für selbstverständlich halten: das Internet.» Dieses sei 40 Jahre alt und desolat.

«Wir können jeden Tag froh sein, wenn es funktioniert.» Es gäbe jedoch glücklicherweise Projekte, die bereits mit der «Renovation» angefangen hätten. Hierbei ginge es um Stabilität, Resilienz, Datensteuerung und geringeren Stromverbrauch. Die gute Nachricht zum Schluss: Die Technologie hierzu stammt von der ETH und damit aus der Schweiz.

Die kürzlich veröffentlichte erste globale TSG-Innovationsstudie finden Sie hier.

The Singularity Group

 

 

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